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Religiosität İm Medizinrecht Der Säkularen Moderne

Gunnar DUTTGE

I. RECHTSPFLICHTEN IN EINER GEGENWÄRTIGEN PLURALISTISCHEN GESELLSCHAFT

Rechtspflichten enthalten Ge- und Verbote der staatlich verfassten Rechtsgemeinschaft, die an alle Rechtsunterworfenen adressiert und für alle verbindlich sind. Jeder Bürger hat einen Anspruch auf Gleichbehandlung; die „rule of law"1 und das hieraus resultierende Willkürverbot erlauben Unterschiede nur dort, wo relevante sachliche Unterschiede bestehen.2 In einer pluralistischen Gesellschaft sind allerdings religiöse und sonstige wertbezogene Vorstellungen nicht mehr Bestandteil eines von allen fraglos geteilten, gemeinsamen Glaubens, sondern eine Sache der persönlich-privaten Überzeugung. Das Recht einer weltanschaulich heterogen und zunehmend multikulturell zusammengesetzten Bevölkerung muss sich daher um des gesamtgesellschaftlichen Friedens willen auf die Sicherung der äußeren Ordnung beschränken und gegenüber weltanschaulich-religiösen Glaubensvorstellungen als Teil der – menschenrechtlich garantierten – Privatsphäre neutral verhalten. Denn ansonsten sind die Rechtsgebote nicht mehr von allen akzeptier- und befolgbar und verliert der Anspruch des Rechts auf allseitigen Rechtsgehorsam seine Berechtigung. Der amerikanische Rechtsphilosoph John Rawls hat deshalb in seiner „Theorie der Gerechtigkeit" konstatiert: „Keine Konzeption des Guten [gemeint: des guten, gelungenen Lebens], wie vernünftig und wohlbegründet sie auch sein mag, berechtigt ihre Vertreter dazu, mit Hilfe staatlicher Zwangsgewalt Dinge durchzusetzen, über die zwischen Bürgern vernünftige Meinungsverschiedenheiten bestehen".3 Man könnte auch formulieren: Das private Glück liegt ebenso wie das Seelenheil jenseits des Politischen.

Damit soll nicht gesagt sein, dass die Inhalte des Rechts rechtstatsächlich von moralischen oder u.U. gar religiösen Annahmen gänzlich unberührt sind. Ganz im Gegenteil fließen moralische Wertvorstellungen und kulturelle Besonderheiten bis heute in das Recht auch einer sich als säkular begreifenden Rechtsgemeinschaft ein. Dies wird besonders anschaulich in jenen Lebensbereichen, in denen existentielle Interessen des Menschen auf dem Spiel stehen wie etwa auf den verschiedensten Handlungsfeldern der Humanmedizin; hier fließen häufiger als vielleicht sonst rechtliche und ethische Vorannahmen zusammen4 – die hier vorfindlichen Bewertungen und Regulierungen sind in erhöhtem Maße kulturell bedingt.5 Dass sich etwa im internationalen Vergleich zum Teil höchst unterschiedliche Werthaltungen zur sog. „Sterbehilfe", zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen und Verfahrensweisen der Organspende oder zur verbrauchenden Embryonenforschung finden, kann in diesem Lichte nicht überraschen. In demokratisch verfassten Rechtsgemeinschaften werden diese Fragen wie auch sonst nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, was solange unproblematisch ist, wie alle Bürgerinnen und Bürger durch Meinungsäußerung und Wahlrecht an dem ständig fließenden Prozess der Rechtsentwicklung partizipieren können und niemand – sei es einzelne oder ganze Gruppen – dadurch in Gewissensnöte gebracht werden. Letzteres stellen in ethisch brisanten Konstellationen sog. „Gewissensklauseln" sicher, von denen das Mitwirkungsverweigerungsrecht von Ärzten am Schwangerschaftsabbruch6 sicher der bekannteste Fall ist.7

Solange die persönliche Gewissens- oder Glaubensüberzeugung allein das eigene Denken oder Handeln bestimmt und nicht im Sozialverhältnis mit den Entfaltungsfreiheiten und Selbstverständnissen anderer oder gar mit den Grundwerten der Sozialgemeinschaft kollidiert, kann eine freiheitlich gestimmte Rechtsordnung leichter Hand Toleranz gewähren. Schwieriger wird es dagegen, wo die Toleranz gegenüber einem oder einer Gruppe zugleich Intoleranz gegenüber anderen oder gar der Mehrheit der Gesellschaft bedeutet: Ob bzw. inwieweit die Rechtsordnung auch dann noch zur Achtung der Religions- und Gewissensfreiheit verpflichtet ist oder nicht umgekehrt im Sinne der eigenen Werteordnung handeln muss nach dem schon im Lockeschen Toleranzbrief formulierten Leitspruch: „keine Toleranz der Intoleranz"8, ist die bis heute ungeklärte Frage. Und mehr noch: Wie in Deutschland der Streit um das Kruzifix in Klassenzimmern9 und um das muslimische Kopftuch der Lehrerin im Schulunterricht10 gezeigt haben, verschwimmt leicht die Orientierung, welche Position von neutraler Warte aus eigentlich der Toleranz bzw. der Intoleranz zuzurechnen ist. Ich möchte dieser Grundproblematik anhand dreier aktueller Problemstellungen des deutschen Medizinrechts näher nachspüren, um zu veranschaulichen, wie schwer es fällt, hier den richtigen Beurteilungsmaßstab zu finden, mit dem sich „gerechte" Entscheidungen treffen und überzeugend begründen lassen.