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Art. 10 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Avrupa İnsan Hakları Sözleşmesinin 10. Maddesi Kapsamında Avrupa İnsan Hakları Mahkemesi Kararları

Stephanie SCHIEDERMAIR

Die Judikatur zu Art. 10 EMRK ist vielfältig und die Tendenzen in verschiedenen Ländern des Europarates, die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit zu beschneiden, zeigen die ungebrochene Bedeutung der Norm. Der EGMR hat in seiner Judikatur ein festes Band zwischen Art. 10 und der Demokratie als derjenigen Staatsform geknüpft, in der die Menschenrechte am besten verwirklicht werden können. Dass die bisherigen Überlegungen des Gerichtshofes zu Art. 10 auch unter den Bedingungen der digitalen Medienwelt weitergelten, hat der EGMR deutlich gemacht und damit den Weg für die Zukunft des Art. 10 gewiesen. Die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit muss immer wieder auch unter neuen Bedingungen verteidigt werden - die Angriffe auf Journalisten zuletzt etwa bei den Ausschreitungen in Chemnitz zeigen, dass dies auch in Deutschland nötig ist, damit die Meinungsfreiheit als das grundrechtliche Herzstück jeder Demokratie erhalten bleibt.

Art. 10 als Demokratiegrundrecht, Presse als Public Watchdog, Artikel 10 als Grundnorm in der Digitalen Welt, Kriterien des EGMR für die Abwägung mit Art. 8 (Right to Privacy) Auch im Internet Anwendbar, Art. 10 kein Freifahrtschein für Anbieter im Internet.

The judgements of the ECHR concerning article 10 are manifold and the tendencies in some European countries to restrict freedom of opinion, of the press and of the media show the enduring importance of these rights. The ECHR has created a firm bond between articel 10 and democracy as the form of government in which human rights are accomplished best. The statements of the ECHR concerning article 10 prevail under the conditions of the digital age. Freedom of opinion, of the press and of the media have to be defended under new conditions as well - the attacks on journalists in Chemnitz (Germany) in September 2018 show that Germany also has to do its bit to keep freedom of opinion at the heart of democracy.

Article 10 as a Democratic Right, The Press as Public Watchdog, Article 10 as the Fundamental Norm in the Digital Age, Criteria of the ECHR for the Consideration With Article 8 (Right to Privacy) are also Applicable on the Internet, Article 10 no Free Ticket for Provider on the Internet.

1. Die grundlegende Bedeutung des Art. 10 EMRK

Art. 10 EMRK bildet im Gesamtgefüge der EMRK eines der besonders bedeutsamen Grundrechte, worüber schon bei der Schaffung der Konvention Einigkeit herrschte.1 Die Meinungsfreiheit und die übrigen Freiheiten des Art. 10 sind eng mit der Philosophie der Aufklärung verknüpft.2 Mit der Aufklärung tritt die bereits in der Renaissance angelegte Idee, dass der Mensch ein freies Individuum bildet, das durch den Gebrauch seiner Vernunft charakterisiert wird und damit auch zum allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt beitragen kann, in den Mittelpunkt. Der freie Austausch von Gedanken und gerade auch politischen Meinungen wird damit zu einem bedeutsamen politischen und gesellschaftlichen Faktor. Bereits die englische Bill of Rights von 1689 enthält das Privileg der Redefreiheit im Parlament, das die Idee der freien Rede als gesellschaftlichem Wert enthält, auch wenn es noch keine Garantie der Meinungsfreiheit als Individualgrundrecht darstellt.3 Die Virginia Bill of Rights von 1776 bezeichnet die Freiheit der Presse als „eines der starken Bollwerke der Freiheit“, das „nur durch despotische Regierungen beschränkt würde“.4 Die EMRK steht ganz in dieser Tradition, wenn sie sich in ihrer Präambel zu den Menschenrechten und zur Demokratie als der diese Rechte am besten sichernden politischen Ordnung bekennt und in enger Anlehnung an Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit in Art. 10 als grundlegendes Menschenrecht formuliert.5 Die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Presse- und Rundfunkfreiheit für die Demokratie ist auch in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Juli in seinem Urteil zur Verfassungsmäßgikeit des Rundfunkbeitrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einmal wieder deutlich gemacht, dass es die Rundfunkfreiheit als eine „dienende Freiheit“ im Hinblick auf die Demokratie betrachtet und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als wichtigen Teil dieses Auftrages, gerade auch unter den veränderten Bedigungen der digitalen Medienwelt.6

2. Die Judikatur des EGMR zu Art. 10 EMRK

Der EGMR hat dieser besonderen Bedeutung des Art. 10 stets Rechnung getragen. Exemplarisch zeigt sich dies an der Rechtsprechung zu der in Art. 10 nicht ausdrücklich erwähnten, aber vom Gerichtshof als fester Bestandteil des Art. 10 anerkannten Pressefreiheit. Der Gerichtshof verwendet dabei immer wieder eine ähnliche Formulierung:7 „Freedom of expression constitutes one of the essential foundations of a democratic society; it is applicable not only to "information" or "ideas" that are favourably received or regarded as inoffensive or as a matter of indifference, but also to those that offend, shock or disturb. Freedom of expression is subject to a number of exceptions which, however, must be narrowly interpreted and the necessity for any restrictions must be convincingly established. These principles are of particular importance as far as the press is concerned. Whilst it must not overstep the bounds set, inter alia, in the "interests of national security" or for "maintaining the authority of the judiciary", it is nevertheless incumbent on it to impart information and ideas on matters of public interest. Not only does the press have the task of imparting such information and ideas: the public also has a right to receive them. Were it otherwise, the press would be unable to play its vital role of "public watchdog".“ Die besondere Funktion der Presse als "public watchdog" schlägt sich insbesondere in einer sorgfältigen Prüfung des Gerichtshofs hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme nieder, wenn zu befürchten ist, dass die betreffende Maßnahme die Teilnahme der Presse an einer Debatte von öffentlichen Interesse ver- oder behindert.

Den Zusammenhang zwischen der Presse und der öffentlichen Meinung, der die Basis für die zentrale Rolle der Presse bildet, hat der Gerichtshof sehr treffend folgendermaßen charakterisiert:8 „Freedom of the press furthermore affords the public one of the best means of discovering and forming an opinion of the ideas and attitudes of political leaders. More generally, freedom of political debate is at the very core of the concept of a democratic society which prevails throughout the Convention.“ Die Urteile des Gerichtshofs zur Pressefreiheit sind zahlreich und nicht selten von grundlegender Bedeutung. Dabei wird auch deutlich, dass der Gerichtshof der Pressefreiheit nicht nur eine subjektive Komponente, sondern auch eine objektive Komponete entnimmt, die Presse also als für die Demokratie unentbehrliche Institution begreift. Im Urteil Jersild gegen Dänemark von 1994 hat der Gerichtshof diese objektivrechtliche Dimension des Art. 10 ausdrücklich auf die Rundfunkfreiheit übertragen und seine grundlegenden Überlegungen auch auf den Rundfunk ausgedehnt.9

Die Funktion des „öffentlichen Wachhundes“ kann aber nicht nur von professionellen Journalisten, sondern auch etwa von Nichtregierungsorganisationen wahrgenommen werden, wenn ein Zusammenhang zu einer öffentlichen Debatte besteht, was bei der Tätigkeit von NGOs in der Regel der Fall ist. Der EGMR hat sich in den letzten Jahren vielfach mit NGOs befasst und dabei die Formulierung von NGOs als „social watchdogs“ geprägt, denen der Gerichtshof ausdrücklich eine vergleichbar wichtige Rolle wie der Presse zuschreibt.10 Man sieht also, die demokratische Einbettung des Art. 10 EMRK ist das zentrale Element für den Gerichtshof, während die Träger der Freiheiten aus Art. 10 EMRK sehr unterschiedlich sein und der Trägerkreis auch stets durch die Judikatur des Gerichtshofes erweitert werden kann.

Die unauflösliche Verknüpfung des Art. 10 mit der Demokratie führt dazu, dass sich die politischen Vorgänge in einem Mitgliedstaat des Europarates auch in der Judikatur des Gerichtshofes zu Art. 10 widerspiegeln. Beispielhaft zeigt sich das etwa an drei Fällen zu Ungarn aus dem Jahr 2016. In Baka gegen Ungarn entschied die Große Kammer des EGMR, dass die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Präsidenten des ungarischen Verfassungsgerichtes wegen seiner kritischen öffentlichen Äußerungen zu den Justizreformen in Ungarn zweifellos einen „chilling effect“ mit sich bringe, der nicht nur den Präsidenten des Verfassungsgerichts betreffe, sondern generell geeignet sei, alle kritischen Bemerkungen zur Justizreform zu unterbinden.11 Der EGMR erkannte hierin einen klaren Verstoß gegen die Meinungsfreiheit aus Art. 10 EMRK. In einem anderen Fall - Karacsony gegen Ungarn - entschied die Große Kammer des Gerichtshofes einstimmig, dass die Verhängung einer Geldstrafe gegenüber 7 Abgeordneten der Oppositionspartei, die ihre Korruptionsvorwürfe gegenüber der Regierung mittels eines Megaphones und mit Transparenten im Parlament artikuliert hatten, einen Verstoß gegen Art. 10 darstelle.12 Der dritte Fall aus Ungarn betrifft die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen. In diesem Fall - Magyar Helsinki gegen Ungarn - erachtete die Große Kammer des EGMR es als Verstoß gegen die in Art. 10 garantierte Informationsfreiheit, dass die Behörden sich weigerten, einer NGO die ihnen bekannten Pflichtverteidiger und die Zahl ihrer Mandate zu nennen.13 Die Fälle aus Ungarn zeigen beispielhaft, dass der Gerichtshof - gerade auch in politisch brisanten Zeiten - die in Art. 10 verbürgten Freiheiten als unverbrüchliche Garantien einer für die Demokratie unerlässlichen freien geistigen Auseinandersetzung hochhält. Diese Anbindung an die Demokratie gilt für alle in Art. 10 verbürgten Freiheiten - bei der Rundfunkfreiheit kommt sie etwa bei der Pluralismussicherung im Rundfunk auf der Schrankenebene zum Ausdruck. Auch bei der Filmfreiheit kommt die demokratische Verwurzelung zum Tragen. Im Urteil Wingrove gegen Großbritannien von 1996 erkannte der EGMR keinen Verstoß darin, dass das britische Board of Film Classification einem Filmdirektor wegen blasphemischer Szenen kein Zertifikat ausgestellt hatte, seinen Kurzfilm „Visions of Ecstasy“ vorzuführen.14 Der EGMR sah hierin zwar einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers, seine Ideen zu teilen, erkannte aber die religiösen Gefühle als „Rechte anderer“ und damit als legitimen Rechtfertigungsgrund im Sinne des Art. 10 Abs. 2 an.15 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwies der Gerichtshof auf die uneinheitlichen Regelungen zur Blasphemie in den verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarates und betonte den Ermessensspielraum der Staaten, der im Bereich der Meinungsäußerungen zu moralischen oder religiösen Themen deutlich höher sei als bei politischen Meinungsäußerungen.16 Der Gerichtshof erwog zwar mildere Mittel als das komplette Verbot des Films, hielt diese im Ergebnis aber für nicht gleich effektiv und das Verbot somit für insgesamt verhältnismäßig.17 Die Tatsache, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten bei moralischen oder religiösen Themen ausdrücklich einen deutlich weiteren Ermessensspielraum zuerkennt als bei politischen Meinungsäußerungen, unterstreicht die fundamentale politische Bedeutung des Art. 10 in der Judikatur des EGMR.

3. Art. 10 EMRK in der digitalen Welt

Die besondere Bedeutung des Art. 10 gilt auch unter den Bedingungen der digitalen Welt. Nachdem die anfängliche Euphorie angesichts der neuen technischen Möglichkeiten und ihrer möglichen positiven Auswirkungen auf demokratische Bewegungen mittlerweile einem skeptischeren Blick gewichen ist, geraten auch die Problematiken der digitalen Welt, die sich hinter Manipulationsmöglichkeiten wie social bots oder dem leichten Zusammenfinden radikaler, der Demokratie feindlich gesinnter Interessengruppen verbergen, stärker in den Blick. Die beim EGMR schon lange präsente Problematik der „hate speech“18 aber auch das für die Grundlagen einer Demokratie ebenfalls enorm gefährliche Phänomen der fake news, also der gezielt falsch gestreuten Informationen im Internet, sind Entwicklungen, die die feste Verankerung des Art. 10 als dem demokratischstem Grundrecht der EMRK auch für die Zukunft besonders wichtig erscheinen lassen. Der EGMR hat auf die Gefahren, welche die Verbreitung von „hate speech“ über das Internet birgt, bereits ausdrücklich hingewiesen.19

Auch die klassische Abwägung der Freiheiten des Art. 10 auf der einen Seite mit dem Schutz der Privatheit aus Art. 8 auf der anderen Seite erhält im Internet neue Relevanz, wenn es um die Veröffentlichung von Personennamen und die Pflichten von Suchmaschinenbetreibern geht. Der EuGH hat mit seiner Google Spain-Entscheidung von 2014 ein „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet und einen entsprechenden Löschungsanspruch gegen den Suchmaschinenbetreiber postuliert.20 Er hat dem Suchmaschinenebetreiber hierbei die Berufung auf das Medienprivileg der Datenschutzrichtlinie klar verwehrt und zum ersten Mal einen Suchmaschinenbetreiber in die Pflicht genommen.21 Unter ausdrücklichem Bezug auf das Google Spain-Urteil des EuGH hat der EGMR in seinem Delfi-Urteil von 2015 die Verurteilung eines der größten Internetforen in Estland zu Schadensersatz wegen der Nichtentfernung beleidigender Kommentare für mit Art. 10 vereinbar erklärt.22 Der EGMR bestätigte die Ansicht der estnischen Gerichte (und auch des EuGH), dass dem Nutzer eine Klage gegen den Forenbetreiber nicht verwehrt werden dürfe. Sowohl der EuGH als auch der EGMR nehmen damit Anbieter im Netz in die Pflicht und erteilen ihnen kein Freifahrtschein über Art. 10.

Gleichwohl lässt der EGMR erkennen, dass die Grundprinzipien, die er in seiner langen Judikatur zur Abwägung zwischen Art. 10 und Art. 8 aufgestellt hat, auch im Internet Anwendung finden. So hat der EGMR in einer Entscheidung vom 28.6.2018 die Namensnennung der Beschwerdeführer, die 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr verurteilt worden waren, für mit Art. 8 vereinbar erklärt.23 In seiner Urteilsbegründung hat der Gerichtshof ausdrücklich auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach den Mitgliedstaaten bei der Abwägung zwischen dem von Art. 8 EMRK geschützten Persönlichkeitsrecht und der von Art. 10 EMRK geschützten Pressefreiheit ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt.24 Der in letzter Instanz zuständige Bundesgerichtshof hatte nach Auffassung des EGMR die von ihm für die erforderliche Abwägung aufgestellten Kriterien ausreichend einbezogen.25 Insbesondere sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Öffentlichkeit ein Interesse daran habe, über Internetarchive auch auf ältere Publikationen zugreifen zu können, soweit diese ursprünglich ohne Verletzung von Rechten Dritter veröffentlicht worden waren.26 Von besonderer Bedeutung war für den Gerichtshof zudem, dass sich die Beschwerdeführer in der Vergangenheit im Zuge der Gerichtsverfahren selbst an die Presse gewandt hatten.27